GeOrgel – Gelsenkirchen Barock zum Begehen
Zu einer kleinen Zeitreise lädt das einzigartige GeOrgel ein. Die Schrankwand-Installation des freischaffenden Künstlers Stefan Demming verbindet regionale Popkultur aus den 80er und 90er Jahren mit Perspektiven von Leuten aus dem Quartier. Stefan selbst gibt Einblicke in ein außergewöhnliches Projekt.
Juli 7, 2023
Hallo Stefan, was ist das GeOrgel eigentlich?
Das GeOrgel ist ein interaktiver Schrankwand-Installations-Laden. Der besteht hauptsächlich aus fünf ineinander verschachtelten Schrankwänden im Stil Eiche Rustikal – sowas wie der inoffizielle Nachfolger des Gelsenkirchener Barock. Mittlerweile sind auch noch weitere Möbel und ein zweiter Raum hinzugekommen. Fast alles stammt von Kleinanzeigen aus der Kategorie zu Verschenken und so ist es ein echtes Upcycle-Projekt. Mittlerweile haben wir auch die Fassade passend dazu gestaltet – das Projekt wächst immer ein wenig weiter. Insgesamt ist das GeOrgel also eine Art skurril-heimeliges 80er und 90er Jahre- „Fachgeschäft“.
Inwiefern ist das GeOrgel denn interaktiv?
In den Schränken gibt es daher Vieles zu entdecken und mit den zehn Klang-Schubladen im ersten Raum werden sie sozusagen zum polyphonen Instrument. Je weiter eine Schublade geöffnet ist, umso lauter erklingt ein darin zu hörender Klang oder Sprache. Dafür habe ich Menschen interviewt und Klänge in Ückendorf zum Teil im Workshop mit Jugendlichen aufgenommen, die im Schrank zu hören sind.
Bei vielen Veranstaltungen sind Interessierte eingeladen, diesen Raum zu erleben und ggf. auch mitzugestalten. Dabei sind auch viele Künstler: und Musiker:innen, die bereits dort aufgetreten sind, die haben natürlich auch das GeOrgel als Erfahrungs-Raum geprägt. Der Spruch am Eingang – „Wir verkaufen nix – aber hier kannse watt erleben!“ Spielt darauf an. Dies ist ja ein temporäres Kunst-Projekt, das durch verschiedene Förderprogramme finanziert ist. Dafür beantrage ich Mittel und wenn das klappt, läuft der „Laden“ weiter.
Einige der Gegenstände in den Fächern sind auch von Besucher:innen mitgebracht worden. Mein Kollege Julian Mikus – übrigens der „neue Manager“ – hat eine Polaroidkamera mitgebracht, die benutzt werden kann und es gibt viele Bilder von Menschen im GeOrgel. Durch diese Offenheit entstehen oft automatisch neue Dinge, die dann in den Schränken oder im Schaufenster zu finden sind.
Wie sehr steckt das Quartier denn im GeOrgel?
Ich versuche immer, die Möbel passend zu den Geschichten der Menschen aus dem Quartier zu füllen.
Die Aufnahmen der verschiedenen Leute erzählen etwas über das Quartier. In der einen ist zum Beispiel ein Lied von drei Nachbarskindern zu hören, die diese Melodie gemeinsam für das GeOrgel gesungen haben. In der anderen ist Jussus zu hören, der auch auf der Bochumer Straße wohnt und zwei Lieder geschrieben hat. Ernst-Oskar war der Erste. Er hat immer an der Straßenbahnhaltestelle gesessen und ein fröhliches Lied gepfiffen, auch wenn die Tram schon weitergefahren war. Die Viertelstunde, in der er mir von seinem Leben und Wirken in Ückendorf erzählt hat („Ich will auch gar nicht woanders hin!“), habe ich auf 4 Minuten gekürzt. Sie ist jetzt wie ein kleines Hör-Denkmal für ihn, denn eine Besucherin erzählte mir neulich, dass er vor vier Monaten gestorben ist… Armanj (26) kam als Geflüchteter 2015 aus Syrien und hat vor Kurzem seinen Traum erfüllt: er ist jetzt Kiosk-Besitzer und neuer Nachbar auf der Bochumer … Gisela erzählt, wie die Straße früher aussah und da gibt’s noch einiges mehr zu entdecken!
Im zweiten Raum funktionieren die Schubladen etwas anders, etwas rhythmischer und noch mehr wie ein Musikinstrument da es auf Ableton live basiert: mensch kann den Sound für jede Schublade ändern und so einen eigenen „Sound of Ückendorf“ basteln!
Basti Lindtner hat nach einem Konzert seine Heimorgel aus den 80er Jahren hier stehen lassen, die darf auch bespielt werden! Bei den beiden neuen Projekten, bei denen es wieder um Upcycling und Intervention im Stadtraum geht, sind Menschen ausdrücklich eingeladen mitzubasteln!
Ein Projekt, dass hoffentlich noch mehr Zusammengehörigkeitsgefühl in die Nachbarschaft und das Quartier bringt, heißt „Faces of Ückendorf“ und beginnt am kommenden Wochenende mit dem Besuch eines Fotografen: wir wollen Portraits machen von Menschen, die hier leben. Wer bereit ist, andere offen anzusehen, ist auch offen für Begegnungen und so wird hoffentlich ein Miteinander gefördert. Im Schaufenster des GeOrgel soll ein öffentliches Fotoalbum des Quartiers entstehen.
Wie wurde das GeOrgel bisher im Quartier aufgenommen?
Erstmal ist es großartig, wenn Leute neugierig sind und gucken, was das GeOrgel überhaupt ist. Es kommen viele Menschen unterschiedlichen Alters vorbei, die ganz unterschiedlich reagieren. Wer solche Möbel noch von früher kennt, äußert gleich Erinnerungen – andere fragen, ob die Möbel zu verkaufen seien. Schon sind wir bei einem Gespräch darüber, dass Möbel heute zu einem Wegwerfprodukt geworden sind. Da das nicht gut ist, versuche ich u.a. Fragen der Nachhaltigkeit mit meiner künstlerischen Arbeit zu thematisieren. Auch die neuen Projekte haben mit Upcycling zu tun.
Die Gegend hier hat mich auch interessiert, daher hat diese Installation auch sehr viel mit dem Quartier zu tun. Überhaupt ist es ja erst entstanden, weil es hier das Kreativquartier Ückendorf ist: die Arbeit an einer Art Belebung der Straße finde ich wichtig und ich bin auch dankbar für den Respekt und die Offenheit von allen anderen Kolleg:innen, die daran arbeiten. Vernetzung ist ein wichtiges Schlagwort. Entscheidend sind oft auch persönliche Leidenschaft und dass die Macher:innen dabei positiv und kooperativ bleiben und nicht in Missgunst und Konkurrenzdenken verfallen.
Welche Rolle spielen Veranstaltungen insgesamt im GeOrgel?
Ich kümmere mich darum, dass hier regelmäßig verschiedene Events stattfinden, da die kulturelle Agenda das Quartier belebt. Es gibt daher manchmal sehr schöne Abende!
Inhaltlich ist das wechselnd von Jazz-Impro bis elektronischer Musik aber auch mal etwas Rock’n’Roll oder Liedermacher – wer Lust hat, Musik zu entdecken, ist hier richtig, wichtig ist, dass hier oft live performt wird. Manchmal machen wir auch Plattenabende – auch Besucher:innen können Vinyls aussuchen oder mitbringen, neue Gesichter sind da natürlich immer herzlich Willkommen.
Das klingt spannend?
Dann schaut doch mal bei den anstehenden Veranstaltungen vorbei. Am 01.09. feiern wir das Einjährige mit Beatboxer Jibel Jay und dem Gonzo-Rocker Sedlmeier, alles Aktuelle steht immer auf der Website und Social Media, stets gilt: Eintritt frei, Spenden willkommen!
Ermöglicht wurde das GeOrgel durch eine Förderung des Programms Kreativquartiere. Ruhr vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW mit Beteiligung der Stadt Gelsenkirchen, Referat Kultur
Seit Juli sind die Projekte „Neues Management“ (gefördert vom Quartiersfonds Bochumerstrasse) und „UpCycleTheStreet!“ (gefördert vom Kultursekretariat NRW) mit Interventionen im Stadtraum begonnen, zu denen alle herzlich eingeladen sind.
Website: www.georgel.me
Instagram: www.instagram.com/georgelart
FB: www.facebook.com/stefdemming
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